Keine Rechtsmissbräuchlichkeit bei Nettolohnoptimierung durch Gehaltsumwandlung
Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 10.05.2016 (Az. L 11 R 4048/15) entschieden, dass eine Entgeltumwandlung zugunsten lohnsteuerfreier oder pauschal besteuerter Leistungen bei der Verbeitragung in der Sozialversicherung zu berücksichtigen ist. Die Gehaltsumwandlung zur „Nettolohnoptimierung“ sei keine rechtsmissbräuchliche vertragliche Gestaltung. Darüber hinaus sei es für die Erfüllung der Voraussetzungen von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Sozialversicherungsentgeltverordnung (SvEV) nicht erforderlich, dass die steuerfreie Leistung vom Arbeitgeber über das ohnehin geschuldete Arbeitsentgelt hinaus erbracht wird.
Tankgutscheine, Restaurantschecks, Kinderbetreuungszuschüsse
In dem dem Urteil des LSG Baden-Württemberg zu Grunde liegenden Fall hatte ein Gärtnereibetrieb mit 12 seiner Arbeitnehmer Entgeltumwandlungsvereinbarungen geschlossen. In den Vereinbarungen war bestimmt, dass sich der Bruttobarlohn bei unveränderter Arbeitszeit reduziert und die Arbeitnehmer dafür steuerfreie oder pauschalbesteuerte Leistungen erhalten. Den Arbeitnehmern standen folgende Leistungen zur Auswahl:
- Tankgutscheine,
- Internetzuschüsse,
- Restaurantschecks,
- Erholungsbeihilfen,
- Zuschüsse zu den Aufwendungen für die Betreuung von Kindern des Arbeitnehmers in Kindergärten oder vergleichbaren Einrichtungen,
- Aufwendungsersatz für die Reinigung von Berufskleidung und
- Personalgutscheine
Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg ging von Lohnverwendungsabrede aus
Der Arbeitgeber führte für die oben genannten Leistungen keine Sozialversicherungsbeiträge ab. Nach Durchführung einer Betriebsprüfung forderte der Rentenversicherungsträger, die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg, den Arbeitgeber auf, die Sozialversicherungsbeiträge nachzuzahlen. Die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg war der Auffassung, das Zusätzlichkeitserfordernis des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SvEV sei im vorliegenden Fall nicht erfüllt. In der Gehaltsumwandlungsvereinbarung sei vielmehr eine Lohnverwendungsabrede zu sehen. Der Arbeitslohn fließe den Arbeitnehmern daher in unveränderter Höhe zu und sei vollständig beitragspflichtig in der Sozialversicherung.
Hiergegen legte der Arbeitgeber Widerspruch ein und erhob nach Zurückweisung des Widerspruchs Klage vor dem Sozialgericht Reutlingen. Das Sozialgericht Reutlingen gab mit Urteil vom 19.08.2015 (Az. S 3 R 2078/14) der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg in der Frage der Beitragspflicht in der Sozialversicherung Recht. Hiergegen wendete sich der Arbeitgeber in seiner Berufung vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg.
Keine rechtsmissbräuchliche Gestaltung
Das LSG Baden-Württemberg ist der Auffassung, bei den Entgeltumwandlungsvereinbarungen handele es sich nicht um bloße Lohnverwendungsabreden, sondern um wirksame Änderungen der Arbeitsverträge – nämlich bezüglich der Höhe des Barlohnanspruchs. Der Wirksamkeit der Gehaltsumwandlungsvereinbarungen stehe nicht entgegen, dass die Änderung der Arbeitsverträge ausdrücklich mit dem Ziel vorgenommen wurde, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zu sparen. Hierin liege keine rechtsmissbräuchliche vertragliche Gestaltung. Die Ausnutzung rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten in gesetzlich zulässigen Rahmen könne nicht dadurch außer Kraft gesetzt werden, dass die Auswirkungen, wie etwa die verminderten Rentenansprüche der Arbeitnehmer, für gesellschaftspolitisch bedenklich gehalten werden.
Zusätzlichkeitserfordernis erfüllt
Darüber hinaus sei das Zusätzlichkeitserfordernis gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SvEV erfüllt. Diesbezüglich verweist das LSG Baden-Württemberg auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 21.08.1997 (Az. B 12 RK 44/96), wonach es nicht erforderlich ist, dass die zusätzliche Leistung vom Arbeitgeber für den in der Vorschrift bezeichneten Zweck über das ohnehin geschuldete Arbeitsentgelt geleistet wird. Zudem ist es gemäß Urteil des BSG vom 14.07.2004 (Az. B 12 KR 10/02 R) unerheblich, ob die Leistung im Vergleich zum bisherigen Entlohnungsgefüge vom Arbeitgeber zusätzlich aufgebracht wird oder ob sie bei gleichbleibendem Gesamtvergütungsniveau aus einer für die Zukunft vereinbarten Entgeltumwandlung des bisher gezahlten beitragspflichtigen Arbeitsentgelts stammt. Im konkreten Fall hielt das LSG Baden-Württemberg allerdings sowohl den Zuschuss zur Kinderbetreuung als auch den Aufwendungsersatz für die Reinigung der Berufskleidung für beitragspflichtig, weil die von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SvEV vorausgesetzte Steuerfreiheit nicht gegeben war.
Tankgutscheine bis 44 Euro sozialversicherungsfrei
Nicht beitragspflichtig hingegen sind nach zutreffender Ansicht des LSG Baden-Württemberg die vom Arbeitgeber gewährten Tankgutscheine. Tankgutscheine sind nicht in Geld bestehende Sachbezüge gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG. Sachbezüge sind nach § 8 Abs. 2 Satz 11 EStG steuerfrei, wenn sie insgesamt 44 Euro im Monat nicht übersteigen. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 SvEV gilt § 8 Abs. 2 Satz 11 EStG entsprechend für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung. Da im vorliegenden Fall der Wert der Tankgutscheine (einschließlich etwaiger weiterer Sachbezüge) 44 Euro monatlich nicht überstieg, hat das LSG Baden-Württemberg eine Beitragspflicht verneint.
Auswirkung einer Entgeltumwandlung auf Leistungen der Sozialversicherung
Das Landessozialgericht Baden-Württemberg stellt in seinem Urteil vom 10.05.2016 überzeugend klar, dass eine Nettolohnoptimierung nicht nur bei Erhöhung des gesamten Gehaltsniveaus möglich ist, sondern auch durch eine Gehaltsumwandlung erreicht werden kann. Allerdings ist bei der Umwandlung von sozialversicherungspflichtigem Gehalt zugunsten sozialversicherungsfreier Leistungen zu beachten, dass sich hierdurch die Sozialversicherungsleistungen vermindern (insbesondere Renten der Deutschen Rentenversicherung, Kranken- und Arbeitslosengeld). Darüber hinaus kann die Umwandlung von sozialversicherungspflichtigem Entgelt zugunsten sozialversicherungsfreier Leistungen auch Auswirkungen auf die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung haben.
Genaue Prüfung bei Einrichtung
Bei der Einrichtung von Nettolohnoptimierungsmodellen ist große Sorgfalt geboten. Bezeichnend ist diesbezüglich, dass das LSG Baden-Württemberg trotz Annahme der grundsätzlichen Zulässigkeit im konkreten Fall lediglich bei drei der sieben zur Auswahl stehenden Leistungen eine Beitragsfreiheit in der Sozialversicherung angenommen hat. Bei den Leistungen Internetzuschuss, Kinderbetreuungszuschuss, Aufwendungsersatz für die Reinigung von Berufskleidung und Personalgutscheine lagen hingegen die Voraussetzungen für die Sozialversicherungsfreiheit mangels Steuerfreiheit bzw. Zulässigkeit einer Pauschalbesteuerung nicht vor.
Gehaltsumwandlungsvereinbarung unterliegt AGB-Kontrolle
Darüber hinaus sind auch arbeitsrechtliche Aspekte bei der Nettolohnoptimierung zu beachten. So unterliegen etwa die Vereinbarungen zur Gehaltsumwandlung in der Regel einer AGB-Kontrolle gemäß den §§ 305 ff. BGB. Eine AGB-Kontrolle findet auch auf die Bestimmungen in einer Gesamtzusage statt, welche die Rahmenbedingungen für die Entgeltumwandlung regelt. Keine AGB-Kontrolle findet hingegen bei einer Betriebsvereinbarung zur Entgeltumwandlung statt (§ 310 Abs. 4 Satz 1 BGB).
Was wir für Sie tun können
Wenn Sie ein Nettolohnoptimierungsmodell einführen wollen, unterstützen wir Sie gerne bei der rechtssicheren Gestaltung einer Gesamtzusage/Betriebsvereinbarung sowie des Formulars für die abzuschließenden Entgeltumwandlungsvereinbarungen. Darüber hinaus sind wir selbstverständlich für sämtliche Fragen zur betrieblichen Altersversorgung für Sie da. Rufen Sie uns einfach an oder schreiben Sie uns eine E-Mail.
Jan Zülch, Rechtsanwalt für betriebliche Altersversorgung, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Hamburg/Lüneburg